
Kira Koplin, 36. | Lebt und arbeitet seit 2010 in Wien. | Nicht wahlberechtigt.
(EN version below)
D, E, M, O, K, R, A, T, I und E
Das Leben ist kein Arztroman. Wir warten hier nicht auf Godot. Wir wissen, worauf wir warten, auch wenn wir nicht genau sagen können, wer wir ist. Bürger*innen dieser Stadt aber keine Staatsbürger*innen. Wir würden unsere Stimmen gerne zum Wir dazugezählt wissen. Und in der Zwischenzeit? Spielen wir Basketball in den Käfigen dieser Stadt, rauchen alle Zigaretten, spachteln alles zu, übermalen alles, überkleben alles. Teilen die Tabletten aus. Wir machen mal wieder richtig sauber. Weg mit dem Dreck. Eine, meine, du bist Schweine. Deutsch macht Spaß. Wir lernen kochen. Wir improvisieren. Wir denken zurück. Wir hängen rum. Wir drehen frei. Unsere Knutschflecken pflastern die Straßen dieser Stadt. Wir ziehen uns gut an und kümmern uns um unsere Papiere. Wir können keine Demos anmelden, aber wir könnten Steine werfen. Wir arbeiten und werden um den Lohn geprellt. Sind nicht krankenversichert aber gewinnen Fashion Awards. Flöten mit und ohne Zauber. Kaufen bei Monki und lesen James Baldwin. Machen uns Notizen. Sind an jeder Ecke zu finden. Gespannt wie eine Feder und immer auf dem Sprung. Unseren Widerstand lassen wir uns einrahmen. So oder anders. Wir öffnen die Türen und sind bereit. Wie eine Vase warten wir auf einen Strauß Blumen. Wir wollen keine Geschenke. Vor allen Dingen. Diese Dinge. So viele Dinge. Alle fertig. Alle vernetzt. Wir sind ein vielversprechendes Mobile. Was wäre, wenn... Unfälle sind keine Zufälle. Zeit für die nächste Geschichte. Oder für eine Geburt. Vielleicht mal das Radio einschalten. Den Wellen und Frequenzen lauschen. Einem Versprechen. Wieder einmal. Auf ein Neues.
Wer ist Wir? Diese Frage ist eine der grundlegendsten Fragen der Demokratie – und ihr wunder Punkt. Ist doch dieses Wir weniger grammatikalische Form, sondern politischer Anspruch. Wir, das Volk. Von diesem Wir soll die Macht ausgehen. Doch wer wird überhaupt hineingelassen in dieses Wir? Wer hat die Wahl – und wer bleibt draußen? Fast 35 % der Wiener Bevölkerung sind nicht wahlberechtigt – das sind über 600.000 Personen. In Bezirken wie Rudolfsheim-Fünfhaus (43,8 %), Brigittenau (41,5 %), oder Margareten (40,6 %) ist fast die Hälfte der Bevölkerung politisch ausgeschlossen. Das Wahlrecht – einst als Ausdruck universeller Gleichheit gefeiert – ist längst ein aussterbendes Privileg geworden. Die Demokratie verspricht Teilhabe, wird aber nur selektiv vergeben und geliefert. Der Rest bleibt ausgeliefert.
